Samstag, 18. März 2017

Zwischenbericht Nr. 10

Vor genau einer Woche habe ich meine Diagnose Krebs bekommen und ich war überrascht von den vielen Reaktionen. So viel Mitgefühl und Unterstützung hatte ich wirklich nicht erwartet. An dieser Stelle möchte ich mich dafür nochmal bedanken. Vielleicht drucke ich mir die ganzen lieben Worte aus, damit ich sie mir in ganz schlechten Zeiten anschauen kann. Meine Familie ist super, da kann ich gar nichts anderes sagen, aber so viel Unterstützung von Menschen, die ich nur in virtueller Hinsicht kenne, hat mich schlicht umgehauen. Tatsächlich kullerten mir einige Tränen die Wangen hinunter beim Lesen der vielen Nachrichten. Gleichzeitig habe ich mir die Frage gestellt, ob ich eventuell weiter über meine Erfahrungen in Form von Zwischenberichten schreiben sollte. Schließlich nimmt diese Krankheit einen zentralen Teil in meinem Leben ein und vielleicht fällt es mir leichter damit umzugehen, wenn ich meine Gedanken in Worte fassen und aufschreiben kann.

Zuerst muss ich euch aber noch etwas mitteilen, was ich bis jetzt niemals in der Öffentlichkeit gesagt habe. Seit sieben Jahren habe ich noch mit einer anderen Krankheit zu kämpfen. Ich leide unter PTBS, also einer Posttraumatischen Belastungsstörung, die mit einer Angststörung und einer Zwangsstörung einhergeht. Alles fing mit Depressionen an, die ich jetzt zum Glück nicht mehr mit mir herumtrage. Ich war schon in einigen Kliniken und bei Psychologen, aber die Tatsache ist, dass ich das niemals los werden werde. Also muss ich lernen damit zu leben, was wirklich ganz schön schwer ist. Schwer ist auch darüber zu sprechen bzw. schreiben, denn ich habe bis jetzt gewaltig negatives Feedback einstecken müssen. Leider sind psychische Erkrankungen immer noch ein Tabu-Thema und in unser Gesellschaft nicht so anerkannt, wie z.B. Krebs. Tja, ich hab jetzt beides. Wenn wir über Karma reden würden, dann weiß ich wirklich nicht, was ich verbrochen habe, um den ganzen Scheiß zu verdienen. Eigentlich müsste ich einen Lottoschein ausfüllen, denn ich müsste den Rest meines Lebens unverschämtes Glück haben. Obwohl ich hatte auch großes Glück - schließlich durfte ich im Krippenspiel als Kind den Engel spielen und musste keinen Text auswendig lernen, sondern nur aus einem Buch vorlesen.

Aber Spaß beiseite, ich glaube, ich habe noch nie soviel geweint, wie ich es in der letzten Woche getan habe. Als ich letzten Freitag die schlimme Nachricht mitgeteilt bekommen habe, wurde mir alles erklärt und ein ganzer Haufen von Terminen mitgegeben. Irgendwie habe ich davon nur die Hälfte verstanden, weil ich in einer Art Schockstarre verfallen war. Vor dem ersten Termin hatte ich dementsprechend ganz schön Schiss, obwohl sich herausstellen sollte, dass dies das Harmloseste diese Woche sein sollte.

Röntgen, Ultraschall und ein Knochenszintigramm, welches sich unglaublich schrecklich anhört, aber nicht unbedingt ist. Mir wurde ein radioaktives Mittel gespritzt und dann hieß es Abwarten und Tee ähm.. Wasser trinken. Drei Stunden und zwei Liter später hatten meine Mama, die mich die Woche über immer begleitet hat, nicht nur mehrere Runden Stadt, Land, Fluss gespielt, sondern es war auch soweit für die Aufnahmen. Ich sollte dabei die Augen zumachen und unter keinen Umständen öffnen. Als der Scanner schließlich mit meinem Kopf fertig war und ich wieder schauen durfte, wurde mir auch klar wieso - dieses Ding ist so nah am Körper, dass man Platzangst bekommen kann. Hab ich zwar keine großen Probleme mit, aber war mir so ganz angenehm, es vorher nicht zu wissen. Endergebnis am Abend war, dass der Krebs nicht gestreut hat.

So fing die Woche sehr positiv an. Am Dienstag gönnte man mir eine kleine Verschnaufpause, die ich auch die Ruhe vor dem Sturm nannte. Denn am Mittwoch ging es ins mittlerweile dritte Krankenhaus. Eigentlich hatte ich angenommen noch an diesem Tag einen kleinen Port, eine Art Kammer unter der Haut aus der man leichter Blut entnehmen und die Chemo anschließen kann, bekomme. Tja, falsch gedacht. Nur eine ganze Reihe von Vorgesprächen erwartete mich. Dabei fiel mir der Anästhesist positiv auf, der beim Ausfüllen meines Fragebogens einfach mal die Melodie von Pippi Langstrumpf summte. Normalerweise kann man so ein Port mit einer lokalen Betäubung innerhalb einer halben Stunde einsetzten, aber der summende Arzt fand eine Vollnarkose bei meiner Angststörung eventuell angemessener.

Er sollte Recht behalten. Am Donnerstag morgens in der Früh, nachdem uns ein Eichhörnchen vor dem Krankenhaus begegnet war, nahmen meine Mama und ich also im Wartezimmer Platz und warteten, dass ich zu meiner OP abgeholt werde. Stundenlange Warterei gepaart mit Horrorgeschichten von nicht wirkenden Betäubungen, die von bereits operierten Patienten erzählt wurden, setzten bei mir ein Gedankenkarusell in Gange, welches nicht mehr aufzuhalten war. Kurz gesagt, ich bekam einen Panikanfall und damit einhergehend auch eine Vollnarkose. Ein bisschen Leid taten mir die Krankenschwestern, die mich mit vorgewärmten Decken überhäuften, weil sie dachten, ich würde vor Kälte zittern. Nachdem man mir eine Kanüle in die Pulsadern gelegt hatte, weil meine sonstigen Blutbahnen sich meist verstecken, wurde ich schon in den OP gefahren. Ein bisschen erinnerte mich die Situation an das Sprichwort "Wie ein Lamm zur Schlachtbank". Das Zittern hörte einfach nicht auf und ich hatte eine Scheiß-Angst.

Mitgefühl ist eine Eigenschaft, die ich an Menschen sehr zu schätzen weiß, aber was mich dann erwartete, haute mich fast vom OP-Tisch. Der ganze OP, einschließlich mir, wartete nun auf den Anästhesisten und ich zitterte so vor mich hin. Eine ältere Krankenschwester trat an den OP-Tisch strich mir über die Wange und sagt mir, dass es nur ein kleiner Schnitt sei. Alles gar kein Problem. Zwar hörte das Zittern leider immer noch nicht auf, aber ich war unglaublich beruhigt. Wenig später bekam ich schon das Schlafmittel durch die Venen geschossen, welches sich anfühlte wie ein kleiner Muskelkater und dann war ich auch schon weg…

43 Minuten später wachte ich im Aufwachraum auf und begann wieder zu zittern. Nicht weil ich Angst hatte, sondern weil mein Körper unter Stress stand. Zum Glück war noch eine Betäubung in meinem Oberkörper, denn ich merkte jetzt schon den Fremdkörper unter meinem Schlüsselbein. Ohne meine Brille sah ich auch noch nach Minuten verschwommen und war froh, als ich mich wieder anziehen konnte. Ganz hibbelig wartete meine Mama schon mit einem Brot im Warteraum auf mich. Wenn man etwas gegessen und getrunken hat ohne sich zu übergeben, dann darf man gehen. Ich bekam einen heißen Tee und das besagte Brot. Sofort ging es mir besser. Wenn man den ganzen Tag nichts Essen oder Trinken darf, macht sich das schon bemerkbar.

Die Nacht gestaltete sich dann doch äußerst schmerzhaft trotz Tabletten. Normalerweise schlafe ich auf der Seite oder manchmal auch auf dem Bauch. Mit einer frischen Narbe ist dies leider nicht möglich. Immer wieder Schmerzen, dadurch Aufwachen und dann erschöpft für ein paar Minuten einschlafen…

Ebenfalls als Horror sollte sich der Freitag herauskristallisieren. Bei jedem Schlagloch, welches sich auf dem Weg ins Krankenhaus Nr. 1 befand, hätte ich laut losschreien können. Dann noch wieder die lange Wartezeit auf harten Stühlen oder im Stehen und das nichtmal 24 Stunden nach meiner OP. Mir ist übel und schwindelig - ein paar mal habe ich das Gefühl ohnmächtig zu werden. Aufklärungsgespräche - ob ich meine Eizellen noch vor der Chemo einfrieren lassen möchte. Das wäre noch eine OP. Entweder es klappt später oder ich werde eine verrückte Katzenlady, aber bitte nicht noch eine zusätzliche OP. Die Belehrungen verdrehen einem den Kopf und machen einem wieder eine Scheißangst. Ist ja alles total unwahrscheinlich, aber sie müssen es halt sagen. Naja. Gedankenkarusell läuft.

Deprimiert verlassen wir wieder gegen Abend das Krankenhaus. Nächste Woche erwartete mich ein weiterer Marathon. Montag Krankenhaus Nr. 4 mit Wartezeit, damit das radioaktive Mittel wieder Zeit hat sich an den richtigen Stellen festzusetzen. Dann Dienstag wieder eine OP, bei der ich einige Lymphknoten entfernt bekomme und auch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben muss. Einerseits will ich, dass es so bald wie möglich mit der Chemotherapie losgeht, anderseits brauche ich eigentlich eine Pause. Den einen Arm kann ich wegen dem Port noch nicht vollständig bewegen und am Dienstag werde ich den anderen Arm nicht mehr bewegen können. Hilfe von meiner Familie annehmen, wie zum Beispiel sich die Socken anziehen lassen ist schon schwer, wie soll das bloß bei fremden Personen gehen?

Aber jetzt ist erst einmal Wochenende und am Freitag ist ja immer Pizza-Tag...